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30 Jahre Wende: Tage die die Stadt veränderten

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Künstler
Frank W. Weber
Telefon:01 72/1 73 80 81
Website:www.frank-w-weber.de
Website:www.kunst-geschoss.de
Foto von Frank W. Weber, Künstler, WerderFoto von Frank W. Weber, Künstler, WerderFoto von Frank W. Weber, Künstler, WerderFoto von Frank W. Weber, Künstler, WerderFoto von Frank W. Weber, Künstler, WerderFoto von Frank W. Weber, Künstler, Werder

Kurzes Aufbegehren

Stand: Juni 2019

Revolutionäre Stimmung in Werder? Das entspricht so gar nicht dem bodenständigen Charakter einer Stadt, die von heimatverbundenen Obstbauern geprägt ist. Dennoch gab es vor 30 Jahren einen Aufschrei mit Folgen!

„Im September 1989 kam zu mir eine enge Freundin mit einem Stapel Bücher, die in der DDR kaum zu bekommen waren. Sie wollte das Land über Ungarn verlassen und überließ mir ihre Schätze. Ich war schockiert und überlegte, ob ich wirklich bleiben wollte“, erinnert sich Frank W. Weber. Der Künstler war damals gerade 30 Jahre alt. Ihm war es soeben gelungen, sich einen Lebenstraum zu verwirklichen: „Ich hatte meinen Abschluss als ‚Zirkelleiter für Grafik und Malerei’ sicher in der Tasche. Damit konnte ich meinen bisherigen ungeliebten Brotberuf als Landvermesser kündigen, um mich endlich voll der Kunst zu widmen. In der DDR war es ja kaum möglich, sich unabhängig freiberuflich zu betätigen. Ich hatte zwei Kinder und hätte riskiert, dass alle paar Tage jemand vom Sozialamt vorbeikommt.“

Wut über leere Parolen
Doch wie bei Millionen anderer DDR-Bürger war „die Wut über die verkalkten alten Männer mit ihren lebensfremden Parolen“ übermächtig.
Den Ausschlag bei Weber gab dann der Zynismus, mit dem die Regierung auf die damals zehntausende von Bürgern reagierte, die das Land bereits verlassen hatten: „Es hieß im DDR-Fernsehen, wir weinen denen keine Träne nach“, ist der Gründer und Kurator vom ‚Kunst-Geschoss Werder’ immer noch schockiert.
„Ich konnte diese tiefe Bestürzung nur in einem Bild ausdrücken!“

Neues Forum
In Werder gehörte der aufmüpfige Maler, der aus Thüringen stammt, mit zu den treibenden Kräften der Protestbewegung: „Das ‚Neue Forum’ wurde durch Mund-zu-Mund-Propaganda bei uns bekannt. Ich besuchte es mit meiner Künstlerkollegin Birgit Ghaouti in der Friedrichskirche in Potsdam und begann in Werder Unterstützer-Unterschriften zu sammeln. Ich erinnere mich an eine der ersten Versammlungen, wo sagenhafte 5 000 Leute da waren, obwohl jeder wusste, dass staatliche Repressionen drohen könnten. Der Andrang war so groß, dass es eine lange Schlange auf die Straße hinaus gab, weil so viele gar nicht in die Kirche hineinpassten!“

Pfarrer als Sprachrohr
Angeregt von den Potsdamern begannen die zwei in Werder einen eigenen Kreis der Protestbewegung aufzubauen.
„Wir wandten uns an den evangelischen Pfarrer Eberhard Schalinski, der innerhalb seines Umfelds bereits aktiv war. Kaum einer der damaligen Aktivisten hatte Erfahrung darin, öffentlich aufzutreten. Deshalb waren in der Bewegung Pfarrer sehr häufig vertreten, denn die hatten ja aus Berufsgründen gelernt, vor anderen frei zu sprechen. Im Grunde haben wir 1989 unsere Mündigkeit erlernt.“
Die erste Versammlung vom „Neuen Forum“ in Werder fand am 29. Oktober 1989 im Gemeindehaus der evangelischen Kirche in der Adolf Damaschke Straße statt.
„Die SED mit Bürgermeister Lothar Schäfer versuchte, uns den Wind aus den Segeln zu nehmen mit dem Vorschlag, all unsere konkreten Probleme sofort lösen zu wollen. Wir wollten uns aber nicht mehr wie bisher bevormunden lassen. So kam es auf Initiative vom ‚Neuen Forum’ ab dem 11. Dezember jeden Mittwoch zum ‚Runden Tisch’. Dessen Protokolle sind noch alle im Stadtarchiv erhalten. Jeweils einen Tag vorher tagte das ‚Neue Forum‘. Es war bei den ‚Runden Tischen‘ sehr schwierig, den SED-Leuten nahezubringen, wie Demokratie funktionieren kann.“

Maueröffnung verschlafen
„Ich war am 9. November, geschafft von vielen Versammlungen, völlig kaputt ins Bett gegangen. Als wir am nächsten Morgen ein Treffen im Kino in Werder hatten, es ging um die Nutzung des Kinos als Versammlungsort für das ‚Neue Forum’, kam jemand in gehobener Sektlaune dazu und erzählte von Kudamm und KaDeWe. Ab diesem Tag hinkten wir der Zeit immer hinterher. ‚3M’, was in der DDR für ‚Messe der Meister von Morgen’ stand, bekam nun als ‚Marlboro, Mallorca und Mercedes’ eine völlig neue Wortbedeutung“, resümiert Weber.

Zerplatzter Traum
Das „Neue Forum“ setzte sich aus Bürgern zusammen, die keine Politikerfahrung besaßen. „Damit hatten wir keine Chancen, weiter die Weichen zu stellen. Die Kommunalwahlen am 6. Mai 1990 zeigten, dass unser Traum vom demokratischen Sozialismus zerplatzt war. Die Weichen standen auf Wiedervereinigung. In Werder wurde die CDU auf Anhieb mit über 35 Prozent stärkste Kraft vor der SPD mit 30 Prozent. Wir landeten weit abgeschlagen bei gerade mal sieben Prozent. Bürgermeister wurde Werner Große.“ Dieser stammt aus der Baumblütenstadt, hatte Facharbeiter für Obst- und Gemüseproduktion gelernt und dann Jura studiert. Er war 1971 in die Ost-CDU eingetreten. Von 1974 bis 1978 war Große stellvertretender Bürgermeister in Werder gewesen. „Mit ihm gelang nach der Wende ein Aufschwung, von dem andere nur träumen konnten. Bereits 1991 wurden Straßen und Häuser planmäßig modernisiert“, lobt Frank W. Weber.

Zukunft dank Karneval
Zur Eröffnung der Ausstellung „30 – Eine Generation“ konnte der langjährige Bürgermeister Werner Große interessante Einblicke in die damalige Zeit geben: „Der Karnevalsverein hatte schon zu DDR-Zeiten Verbindungen zu Siegburg bei Bonn. Der Stadtdirektor bot an, bei der Neugestaltung der Verwaltung zu helfen. Also versuchte Werner Große als neuer Bürgermeister ihn von seinem Dienstzimmer im Rathaus anzurufen. Doch das Telefonnetz in der DDR war so grottenschlecht, dass kein Durchkommen war. Schließlich machte Große sich auf den Weg nach Berlin-Wannsee, wo er brav vor der Telefonzelle anstand um schließlich den Kontakt zu bekommen. Wir haben dem Engagement von Werner Große und Dr. Konrad Machens viel von unserem Aufschwung zu verdanken. Mit Siegburg besteht nun ein Freundschaftsvertrag, was viel mehr ist als eine normale Städtepartnerschaft. Im Grunde haben wir in der Zeit um 1989 einen politisch sehr kultivierten Umgang in Werder etabliert, den ich heute leider bei manchen Mitmenschen vermisse“, so Frank W. Weber.

Schnell reagiert
Er hat die Zeichen der Zeit früh erkannt und war bereits im März 1990 als Dozent an der Volkshochschule Neukölln und dann an der „Diesterweg Hochschule“ in Schöneberg aktiv. In Werder setzte er 2008 mit der städtischen Galerie „Kunst-Geschoss“ Zeichen, die weit über die Region hinausreichen. Sein Konzept der Verbindung von örtlicher Kunst und der Präsentation nationaler und internationaler Künstler verankerte die Stadt der Havelmaler wie Karl Hagemeister überregional als Anziehungspunkt für Kunstinteressierte. Damit besitzt Werder nach der kurzen Blüte des Bürgerbegehrens nun eine anhaltende Blüte als Besuchermagnet.

Erstellt: 2019