Nur die Harten kommen in den Garten: Was sich so alles hinter geschlossenen Schultüren abspielte
Ortschronist und Ehrenbürger | |
Dr. Baldur Martin | |
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Plauderei aus der Obstkiste
Stand: Juni 2021
Typisch Baumblütenstadt Werder: Hier gibt es sogar Geschichte aus der Obstkiste!
Ex-Lehrer Dr. Baldur Martin glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als der „Instrukteur für Kultur und Sport“ ihm einen Berg von prallgefüllten Kisten zeigte. Darin waren Dokumente, Fotos, Klassenlisten und Protokolle. „Das interessiert doch heute keinen mehr“, war der ehemalige Funktionär überzeugt. Deshalb war er fest entschlossen, alles zur Mülldeponie zu verfrachten! Dr. Martin wusste, dass nun schnelles Handeln angesagt ist. Zum Glück wohnt er nicht weit von der früheren „Betriebsberufsschule für Gartenbau“, die nach der Wende im Oberstufenzentrum aufgegangen war.
Schubkarren voller Historie
„Ich schnappte mir einen Schubkarren und sicherte alles bei mir im Keller“, erinnert er sich an dieses Ereignis zurück. Damit hat er nun Unterlagen bei sich zuhause, die viel mit seinem eigenen Leben zu tun haben. „Ich kam 1962 als Lehrer an die ein Jahr vorher gegründete Betriebsberufsschule der VEG Gartenbau. Wir waren mit 15 Lehrern und 67 Schülern gestartet. Als die Schule in den 1970-er Jahren für alle Betriebe vom ‚Kooperationsverband Havelobst‘ geöffnet wurde, hatten wir 82
Pädagogen und 1 200 Schüler. Wir waren in der DDR die größte Einrichtung dieser Art“, fasst Dr. Baldur Martin zusammen.
Er war dort meist als Planer,
unter anderem für die Umsetzung der Inhalte der theoretischen Ausbildung, sowie
die schulische Organisation zuständig.
So erstellte er Stundenpläne und musste sich um Vertretungen kümmern. Natürlich hat er außerdem eine ganze Menge Einblicke, wie das bunte Schülerleben aussah: „Viele waren bei uns im Internat und daher erstmals weg von zuhause“, schmunzelt er.
Schwierige Auswahl
Unter dem Titel „Nur die Harten kommen in den Garten“ ist der frisch ernannte Ehrenbürger von Werder jetzt dabei, in einem neuen Buch Einblick ins damalige Schulleben zu geben. „Das größte Problem ist, das umfangreiche Material zu
sichten. Die Auswahl, welche
Fotos genommen werden sollen, ist sehr schwer“, erläutert er. „Zudem verbinden sich
hier viele persönliche Erinnerungen“, nennt der bekannte Heimatforscher, der unter anderem eine siebenbändige Werder-Chronik in die Wege leitete und teilweise selbst verfasste, einen weiteren
Aspekt.
Ähnlich wie ihm wird es
vielen Werderschen gehen, die noch persönliche Erinnerungen an die Zeit haben, als sie hier die Schulbank drückten.
Arbeiten statt lernen?
Das war ursprünglich gar nicht sehr beliebt: „Die erste Obstbauschule wurde bereits 1904 gegründet. Sie ging nach 1945 in der Ingenieurschule auf. Allerdings schickten die Obstbauern damals ihre Kinder eher weniger
gerne in die Berufsschule,
da sie ja dringend auf den
Feldern gebraucht wurden“, schildert Dr. Martin das damalige Dilemma.
Natürlich bezieht er nun die Ingenieurschule ebenfalls in das geplante Werk ein: „Ich hatte mit dem letzten Direktor Prof. Ernst Greulich gesprochen. Er hat mir gerne sein Material zur Verfügung gestellt.“
Brücken in die Welt
Die Weichenstellungen aus der damaligen Zeit wirken immer noch nach: „Ich war nach der Wende mit auf dem Stand vom Kooperationsverband Havelobst bei der Grünen Woche. Dort sprach mich Didier Auroi an. Er war Deutschlehrer an einer ähnlichen Schule in St. Germain, einer Stadt westlich von
Paris. Seine Idee war eine schulische Partnerschaft im Rahmen des europäischen Comenius-Programms. Für Berufsschulen war das damals ziemlich neu aufgelegt worden. Darin sollen immer vier Schulen zusammenwirken. Auf diese Weise
wurde ein fester Austausch begründet, der eine weitere Berufsschule in der italienischen Emilia-Romagna und eine in Spanien einbezog“, beschreibt Dr. Baldur Martin eine wichtige Weichenstellung, die eine Brücke von den „Harten aus dem Garten“ in die weite Welt initiierte.